
ZWEI INTERESSANTE SIMPLICIO-GITARREN
Manchmal kam es vor, dass gleichzeitig mehrere herausragende historische Gitarren aus einer „Guitarreria“ ans Licht traten. Kürzlich war dies der Fall mit zwei bemerkenswerten Instrumenten aus der Werkstatt Simplicio in Barcelona, Paseo San Juan 110. Sie erlauben einen spannenden Einblick in die Überlegungen und Ideen, die schließlich zu ihrer Entstehung führten.
Francisco Simplicio Nr. 299 / 1931
Dies scheint die einzige Gitarre zu sein, die FS aus Vogelaugenahorn gebaut hat – das Holz blieb in seiner natürlichen, hellen Farbe. Ein metallener „Tornavoz“ ist rund um das Schallloch eingesetzt. Die Innenkonstruktion zeigt ein besonderes Detail in der Deckenbeleistung: die beiden V-Balken wurden nicht vollständig aufgeleimt, sondern wie Brückenbögen herausgearbeitet – etwas völlig Neues bei Simplicio-Gitarren.
In einem entsprechenden Brief an den Kunden Georg Bader aus Berlin erklärt FS, er wolle der Gitarre eine klare, helle Stimme geben – eine Erklärung für die leichtere Beleistung der Decke. Und der „Tornavoz“-Klang war bei den prominenten Virtuosen Miguel Llobet und Emilio Pujol beliebt, die hauptsächlich auf „Tornavoz“-Gitarren des Großmeisters Antonio de Torres spielten.
Warum also auch eine brillante, helle Gitarre statt des tiefen, dunklen und warmen Charakters, für den Simplicio-Gitarren berühmt waren?
Simplicio fertigte dieses besondere Instrument für Matilde Cuervas (1887 – 1956). Geboren in Sevilla, wurde sie eine bedeutende Flamenco-Spielerin. Ihre bevorzugten Gitarren waren ein eher „einfaches“ Instrument von Antonio de Torres (Nr. 115 / 1888) aus Mahagoni sowie eine Torres-Gitarre von 1860 aus Zypresse. Diese Torres-Typen waren für die damaligen andalusischen Kunden gebaut worden: meist aus Zypresse, leicht im Gewicht, mit klarem, durchsetzungsstarkem Klang – ideal für Volksmusik und Flamenco.
Simplicio wollte einige dieser Flamenco-Elemente in das Instrument für Señora Cuervas einfließen lassen. Doch einfache Zypressen-Gitarren, wie sie in den Guitarrerias von Kastilien und Andalusien üblich waren, verließen nie die Werkstatt Simplicio. Selbst Enrique Garcia (1868 – 1922), Lehrer, Freund und Vorgänger von Francisco und Miguel Simplicio, hat – soweit wir wissen – nur eine einzige Zypressen-Gitarre in Barcelona gebaut (1899).
Stattdessen verwendete FS für dieses Instrument den ebenso brillant klingenden, kostbaren und seltenen Vogelaugenahorn (ein teurer Import). Und natürlich sollte es ein Meisterwerk werden, denn Señora Cuervas war eine prominente Kundin – die Ehefrau des bekannten Gitarrenhistorikers, Musikwissenschaftlers und Virtuosen Emilio Pujol! Dies erklärt auch den Einbau des „Tornavoz“. Übrigens: Bei allen Instrumenten verwendeten die Simplicios stets Hölzer höchster Qualität – auch bei reich verzierten Gitarren.
Mitte 1931 konnte Señora Cuervas das Instrument nicht abholen, da das Ehepaar Pujol / Cuervas zu dieser Zeit in Paris lebte. Also entschied sich Francisco Simplicio, die Gitarre zu verkaufen und ihr ein weiteres Exemplar desselben Typs zu bauen. Da gleichzeitig eine Nachfrage eines deutschen Kunden bestand, lieferte FS die Gitarre an Kurt Gudian (1900 – 1973) aus Berlin, einen bekannten Gitarristen und Lehrer, der bereits eine Simplicio von 1929 besaß. Er übergab das Instrument aus Vogelaugenahorn seinem Schüler Georg Bader. Obwohl dieser eine dunkler klingende Gitarre erwartet hatte, war er begeistert von der klaren Schönheit des Tons und nannte sie ein wahres Meisterwerk.
Der plötzliche Tod von FS am 14. Januar 1932 zerstörte die Pläne für eine zweite Gitarre dieses Typs. So blieb die Vogelaugenahorn-Gitarre von 1931, Nr. 299, einzigartig.
Miguel Simplicio Nr. 339 / 1932
Dieses Instrument besitzt Boden und Zargen aus feinstem, geradlinigem Mahagoni. Es hat einen metallenen „Tornavoz“ und – wie die Ahorn-Gitarre von 1931 – eine skulptierte Kopfplatte sowie dekorative Intarsien an Schallloch und Rändern. Eine neue Brücke im Simplicio-Stil wurde angebracht, da die ursprüngliche durch unsachgemäße Reparatur zerstört worden war. Abgesehen von einem alten, perfekt verleimten Riss ist der Zustand sehr gut, und das Instrument entfaltet den berühmten tiefen, warmen Simplicio-Klang in bester Form.
Das Etikett erfordert eine kurze Erklärung. Als Francisco Simplicio begann, mit Enrique Garcia zu arbeiten, begleitete ihn sein 16-jähriger Sohn Miguel. Das bedeutet, dass beide den Gitarrenbau von Anfang an gemeinsam erlernten. In einem Interview mit der Zeitung LAS NOTICIAS vom 15. Juli 1933 erklärte Miguel: „Yo construyo guitarras por tradición y utilizando las enseñanzas de mi padre y de su maestro y mío, Enrique Garcia.“ („Ich baue Gitarren in der Tradition und nutze die Lehren meines Vaters und unseres beider Meisters, Enrique Garcia“).
Als Enrique Garcia am 31. Oktober 1922 starb, befanden sich noch sechs Gitarren in der Werkstatt, nummeriert 268 – 272. Sein Freund, der Gitarrist Domingo Prat, erfüllte den letzten Willen Garcias und behielt die letzte Gitarre als Erinnerungsstück.
Ab 1923 begann FS, Gitarren mit eigener Nummerierung zu bauen. Er benutzte weiterhin das Garcia-Etikett, fügte jedoch den handschriftlichen Zusatz „Sucesor y unico discipulo Francisco Simplicio“ hinzu. Wahrscheinlich änderte sich dies mit Gitarre Nr. 50 im Jahr 1925. Von da an klebte FS sein Etikett auf die Böden seiner Instrumente. Dieses Verfahren übernahm auch Miguel bis zum Ende der „Paseo San Juan Guitarreria“ 1938.
Der plötzliche Tod von FS im Januar 1932 hinterließ Miguel mindestens sechs unvollendete Instrumente. Die letzte Gitarre mit Franciscos Signatur auf dem Etikett war Nr. 336 aus dem Jahr 1931. Da Vater und Sohn stets zusammengearbeitet hatten und diese unvollendeten Instrumente die letzten gemeinsamen Arbeiten waren, führte Miguel die Nummerierung fort, unterschrieb jedoch mit seinem Namen. Es scheint, dass die letzte Gitarre, an der der Vater gearbeitet hatte, die Nr. 342 / 1932 war. Danach führte der Sohn ein eigenes, bis heute rätselhaftes Nummernsystem ein.
Einige abschließende Gedanken…
Die weltweite Verbreitung der Simplicio-Gitarren zeigt einen interessanten Aspekt: Viele Instrumente, die nach Mitteleuropa geliefert wurden, waren aus erstklassigem Mahagoni gebaut. So erhielten beispielsweise Kunden im Raum Innsbruck mindestens sechs Mahagoni-Gitarren. Offenbar wurden Instrumente aus Rio-Palisander für den Kontinent nur auf besondere Anfrage gebaut. Simplicio muss die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen bedacht haben: Für Spieler an der spanischen Mittelmeerküste oder – überseeisch – in Buenos Aires und Montevideo, mit ähnlicher Luftfeuchtigkeit, war eine Rio-Palisander-Gitarre weniger riskant als für Spieler in den trockenen, kalten Regionen Mitteleuropas. Und die Erfahrung, dass er seinen charakteristischen Klang auch mit robustem, edlem Mahagoni erzielen konnte, ließ ihn dieses schöne Holz bevorzugen.
Und zurück zur Ahorn-Gitarre: Das Instrument sollte hell in der Farbe sein (Anklang an Flamenco-Gitarren), auffällig durch die Vogelaugenstruktur und – da das Ehepaar Pujol / Cuervas damals in Paris lebte – widerstandsfähig gegenüber dem kontinentalen Klima!
Dies alles zeigt, dass die Simplicios immer sorgfältig über die Zukunft ihrer „Kinder“ nachdachten, bevor sie sie in die Welt entließen. Vielleicht auch ein Grund, warum so viele dieser großartigen Gitarren in so gutem Zustand überlebt haben.
Karlstein, Mai 2022
Siegfried „Hogi“ Hogenmüller